Kamera: © Ralf Gründer, Berlin (01.10.2015)
Ton: © Chandra Fleig, Potsdam
Produktion: DDT – Das freie Dokumentarfilm-Team, 2015
Georg Pahl: Wie alles für mich begann
Interviewer
Erinnern Sie sich noch an den 13. August 1961?
Georg Pahl
Ja, doch, daran kann ich mich noch sehr gut erinnern. Aber da war ich ja in Bonn. Ich bin 1959 von Hamburg nach Bonn versetzt worden, um eben dort diese ganzen Regierungsgeschichten auch mal kennenzulernen, wie wie man da arbeiten muss, sich gegen die ganzen Konkurrenten durchsetzt usw.
Das habe ich zusammen mit einem Kollegen gemacht, als Assistent erst mal und ja, wir haben das im Radio, und dann auch abends im Fernsehen mitbekommen und dann wurde mir ja auch gesagt, meine Mutter hat mir dann gesagt, unser Vater, der hatte einen Herzinfarkt und ist im Krankenhaus. Ich bin dann im September 61 nach Berlin versetzt worden und habe dann hier quasi die Außenstelle von ihm übernommen und später dann ganz.
Da war ja auch zeitweise Herbert Ernst – wir haben dann zusammen gearbeitet, er hat mir dann assistiert, aber er sollte dann nach Bonn gehen und das hat er nicht gemacht, sondern hat gekündigt und hat dann eine ganz andere Karriere gemacht. Teilweise mit Film natürlich, aber eben auch mit Gastronomie und Antiquitäten. Und wir sind heute noch noch gut bekannt.
Interviewer
Haben Sie ihn denn erst zu dem Zeitpunkt kennen gelernt oder kannten Sie ihn schon durch seine Assistenz bei Ihrem Vater?
Georg Pahl
Ja, daher kannte ich ihn schon. Aber da ich ja in Bonn war, habe ich ihn natürlich nur mal, zum Beispiel waren immer die Weihnachtsfeiern in Hamburg, und dann kamen alle Kollegen zusammen, oder auch zum Sommerfest und da haben wir uns dann mal gesehen. Und dann später natürlich, als ich in Berlin war, da haben wir uns öfter getroffen und waren auch bei vielen Storys dann eben auch zusammen.
Interviewer
Sie sind also im September 1961 von Bonn nach Berlin gekommen? Anfang, oder Ende September?
Georg Pahl
Na ja, ich würde mal sagen, so Mitte September, schätze ich mal, müsste das gewesen sein und bin dann natürlich sofort in diese ganze Mauergeschichte reingekommen.
Und ja, da waren wir eigentlich jeden Tag unterwegs an der Grenze, um immer irgendwie irgendwo Sachen zu drehen, die für die Wochenschau interessant waren. Also da wurde eine Menge Material produziert und das wurde dann immer per Luftfracht nach, … hier von Tempelhof aus, nach Hamburg geschickt und dann weiterbearbeitet.
Interviewer
Erinnern Sie sich denn noch an ganz markante Aufnahmen, die Sie damals gedreht haben an der Mauer?
Georg Pahl
Ja, zum Beispiel haben wir ja mal einen Bericht gemacht “Bernauer Straße” mit einem Mann, der dort lebte, und den haben wir so ein bisschen porträtiert.
Und ja, der hat dann erzählt, die Eindrücke, die diese Leute so hatten, durch diese Mauer und da wurde eben vielfach auch gesagt, diese Mauer steht kein Jahr und das ist ja unglaublich, was hier gemacht wird! Und letztlich hat sie 28 Jahre gestanden, bis das dann Gottseidank vorüber war.
Interviewer
Erinnern Sie sich an die Schaffnerin, die vor laufender Kamera anfing zu weinen?
00:04:28:23 – 00:04:52:22
Georg Pahl
Ja, daran erinnere ich mich noch sehr gut. Der Redakteur, der dabei war, der war derartig aufgeregt und hat dann fast aufgehört weiter zu fragen und so, aber es war letzten Endes doch eine recht interessante Story.
Straßenbahnpersonal
Ist ja eine schöne Station hier. Das kotzt einen an, hier her zufahren. Ja, sagen Sie mal, wie lange oder wie oft fahren Sie denn hier an die Mauer heran? Vier Mal fahren wir hier an die Mauer. Für mich ist sie erdrückend, weil mein Bruder dort drüben wohnt (fast am Weinen). Ich wünsche jedem Westdeutschen, dass er einmal hier rüber kommt und sich das wirklich ansieht.
Georg Pahl
Also, wir haben hier in Westberlin von der Mauer nur eigentlich was gemerkt, wenn wir mal nach Deutschland reisen wollten und wenn wir natürlich in die Nähe der Mauer kamen. Da hat man dann gemerkt, au – hier ist jetzt Schluss, da geht nichts mehr! Und dann ist man ja auch öfter auf diese Besucherstände, dass waren ja so Aussichtspunkte, dahin gegangen und dann wurde man gleich beobachtet von der Volkspolizei und na ja, und das hat sich nachher irgendwie auch so eingeschliffen, dass … man hat sich dann auch damit irgendwie arrangiert und irgendwann kamen ja dann auch mal die Geschichte, dass mein Vater zu mir sagte: Du musst auch mal dran denken, andere Sachen zu drehen, denn irgendwann ist der Punkt da, da kennt man die ganzen Bilder von der Mauer. Und das wurde ja dann auch gemacht. Die Einweihung der Philharmonie mit Karajan damals, oder auch die Deutsche Oper Berlin in der Bismarckstraße wurde da in den 60er Jahren eingeweiht. Und das wurde natürlich dann auch alles gedreht.
Interviewer
Gibt es denn Aufnahmen, die Sie an der Mauer gedreht haben, die heute immer noch gesendet werden?
Georg Pahl
Tja, also, da fällt mir jetzt, so direkt fällt mir da nichts ein, weil es eben auch so viel war, was man hier gemacht hat.
So speziell würde ich mal sagen, eigentlich nicht. Also, was natürlich auch war, als das erste Passierscheinabkommen gab, da sind wir ja nach Ostberlin rübergefahren und haben dort gedreht und das war schon beeindruckend, weil es eben auch erstmalig war, dass man auch Leute fragen konnte, zwar immer unter Aufsicht, aber es war schon so, dass das völlig neue Eindrücke waren und die Leute auch teilweise sich zurückgehalten haben in ihren Äußerungen, weil sie immer Angst hatten, sie könnten belangt werden, aber es war das erste Mal. Und auch diese Szenen an der Grenze, zum Beispiel an der Sandkrugbrücke, die ersten Begegnungen Westberliner – Ostberliner, dass war schon schon unglaublich beeindruckend, denn die Leute hatten sich ja lange nicht mehr gesehen. Da gab es ja dann auch Szenen an der Mauer, wo die Leute dann gewinkt haben. Ich habe auch mal eine Story gedreht, wo sich Westberliner mit den Ostberlinern über Lichtzeichen verständigt haben, indem sie in den Wohnungen immer so eine Art Morsealphabet gemacht haben, wo sie sich so gewisse Botschaften gesendet haben. Es gab da die skurrilsten Geschichten.
Interviewer
Sie hatten keine Verwandtschaft in Ostberlin? Auch nicht in der DDR?
Georg Pahl
Auch nicht in der DDR. Nein, ich …. Doch, ich hatte einen Vetter in der DDR, aber da war der Kontakt schon immer recht lose und die haben uns dann auch mal hier besucht. Aber so eigentlich direkt hatten wir nicht, wo man sagt: Ach Mensch, die haben wir jetzt ewig nicht mehr gesehen, die müsste man eigentlich mal sehen.
Interviewer
Es gibt aber die berühmte Aufnahme des jungen Mannes hinterm Stacheldraht, und die wird auch einem Herrn Pahl zugeschrieben.
Georg Pahl
Ja, diese Aufnahme hat mein Vater gemacht. Darüber wurde ja dann auch in der Wochenschau ein kleiner Dokumentarfilm gedreht mit dem Herrn Roseneid, der sich dann ja irgendwann mal gemeldet hat bei der Wochenschau und hat gesagt: Das bin ich.
Und da wurde natürlich sofort zugegriffen, denn das war ja ein hochinteressantes Thema, dass der Mann plötzlich eine Identität hatte, die kannte man ja vorher nicht. Und ja, und diese Aufnahme war eben deswegen auch so interessant, optisch, weil eben diese Stacheldrähte genau unter seinen Augen waren. Das machte das so beeindruckend, so überzeugend; diese Darstellung. Das war natürlich auch irgendwo rein zufällig, Er konnte ihm ja nicht zurufen: “Gehen Sie doch mal ein bisschen mehr nach links”. Aber er konnte natürlich mit der Kamera ein bisschen … um, um diesen diesen Eindruck wirklich auf dem Bild zu haben.
Interviewer
Er konnte ja auch in der Höhe und sehr hoch und runter gehen.
Georg Pahl
Ja, aber man wusste ja nie, wenn lange man eine solche Situation hat, wie lange bleibt der da?
Interviewer
Würden Sie sagen, das ist eine gestaltete Aufnahme? Oder würden Sie sagen, das ist eine zufällige Aufnahme?
Georg Pahl
Also ich würde schon sagen, sie ist gestaltet, insofern, als ich vermute, dass mein Vater die Kamera eben so noch mal ausgerichtet hat, dass diese Stacheldrähte in den Augen oder unterhalb der Augen sind. So gesehen muss man das so sagen.
Interviewer
Erinnern Sie sich an Ihre Reportage über die Zeitschrift “Die Wahrheit?”
Georg Pahl
Ja, das war ja ein Herr Delius, der hier in Berlin, in Westberlin der Vertreter war. Also diese Leute waren nun nicht sehr zugänglich, denn die wussten ja, dass wir als Klassenfeind usw. ihnen nicht unbedingt wohl gesonnen waren. Aber ich glaube, wir haben da ganz interessante Bilder bekommen.
Woran ich mich noch sehr gut erinnern kann, ist, als Bundeskanzler Schmidt in Ostberlin war und den Honecker in (Schloss) Hubertusstock getroffen hat, da gab es eine Szene früh morgens. Ich stand mit einer Arri BL, also einer Geräuscharmenkamera mit einem Schulterstativ, ein riesiges Ding, 20 Kilo schwer, mit einem Transfokator drin, also einer Gummilinse, stand ich da und wartete auf die Vorfahrt von Helmut Schmidt.
Und dann kam Honecker mit seiner Entourage. Und wir standen uns in einer Entfernung von zwei Metern gegenüber. Und nun sagte ich erst mal “Guten Morgen Herr Generalsekretär! Und dann sagte er zu mir: “Sie haben einen schweren Beruf”. Ja, sage ich, aber die Dachdecker haben einen schwereren Beruf! Wie kommen Sie denn darauf? Na ja, sagt ich, die fallen doch öfter mal runter. Großes Gelächter und dann fuhr Helmut Schmidt vor, und der Staatsbesuch oder Arbeitsbesuch nahm dann seinen Lauf.
Es gab ja eine ganze Menge Geschichten, die man so gemacht hat. Aber, zum Beispiel eine Sache, die mir jetzt spontan einfällt, wir haben mal einen Bericht gedreht über den “Frühling in Berlin” für die Wochenschau. Und da ging es um den ersten Kuss. Und da habe ich den damals Regierenden Bürgermeister Willy Brandt gefragt – mein Vater schubste mich nach vorne und sagte “Los jetzt!”
Jetzt musst Du ran mit dem Mikrophon. Er hatte gedreht. Und ich habe dann gesagt” “Herr Regierender Bürgermeister, erinnern Sie sich noch an den ersten Kuss?” Und da hatte man natürlich Angst, dass der sagt, wissen Sie, lassen Sie mal. Aber er hat das richtig verstanden und hat sehr nett darauf geantwortet.
Können Sie sich, Herr Regierender Bürgermeister, an Ihren ersten Kuss noch erinnern?
Willy Brandt
Na ja, fast genau. Wie war das damals? Das möchte ich nun nicht vor aller Öffentlichkeit beschreiben. Aber Sie haben schon ganz recht, der Zusammenhang zwischen dem Frühling und und dem begegnen junge Menschen. Diesen Zusammenhang, den erinnert man sich sehr gerne. Aber jetzt bin ich schon ein bisschen aus den Jahren raus.
Georg Pahl
Da haben wir dann später auch noch ein paar andere Leute befragt. Liselotte Pulver, … wer war da noch? O. W. Fischer. Die drehten hier gerade einen Film. Und es war dann ja ganz turbulent, als der O. W. Fischer die Lilo Pulver küssen wollte und gesagt hat: So haben wir das damals gemacht. Und der war das aber gar nicht so recht, dass er ihr so nahe kam. Das war nachher im Kino, war das ein Knaller?
Ach, dann fällt mir noch was ein, dass war natürlich auch sehr beeindruckend: Der Kniefall von Willy Brandt in Warschau. Das wusste ja niemand vorher. Und das war schon beeindruckend, wie der Mann da kniete und dass werde ich nicht vergessen, das prägt sich ein. Und ich war 28 Jahre danach wieder an diesem Ehrenmal für die Leute dort im Warschauer Ghetto. Dann denken Sie, das ist vor 14 Tagen gewesen, dabei lag das 28 Jahre zurück.
Daran sieht man, wie langwierig auch so Geschichte ist. Was da so abläuft mit der Mauer, war es ja ähnlich. 61 gebaut, 28 Jahre später fiel der erste Stein.
ENDE